Wie das Gute und das Böse zum Kern der Welt wurden

 

Bereits zu Anbeginn aller Zeiten existierten das Gute und das Böse als gegensätzliche Prinzipien, noch bevor die Welt oder ihre Götter entstanden waren. Aber noch gab es keinen Konflikt zwischen ihnen, denn worum hätten sie streiten sollen? Der Kampf zwischen Gut und Böse entbrannte, als sich langsam unsere Welt aus dem Nichts formte. Das Böse suchte über die Welt zu herrschen, und das Gute suchte es daran zu hindern. Der Kampf wurde zunächst auf der Erde ausgetragen, denn es fanden sich für beide Seiten mächtige Kämpfer. Aus jener Zeit entspringen all die alten Sagen vom Kampf des Guten gegen das Böse. Aber bald schon wurde der Widerstreit erbitterter und wurde in höhere Sphären getragen, bis sich schließlich das Gute und das Böse in reiner Essenz gegenüberstanden.

Da sammelten sie noch einmal all ihre Kräfte für das letzte große Zusammentreffen. Sie flogen aufeinander zu mit großer Geschwindigkeit und konzentrierter Energie, wie zwei Autos bei einem Frontalzusammenstoß mit 150 km/h. Kurz vor dem Aufprall schien sich die Zeit zu verlangsamen, und in einer gigantischen Supernova zersplitterten Gut und Böse in Millionen und Abermillionen von kleinen und kleinsten Kristallen. Die Kristalle des Guten waren wie schimmernder Tau, wie eine Handvoll Quellwassers mit einem Tropfen Milch. Die Kristalle des Bösen aber waren wie schwarze Edelsteine, funkelnd und scharf.

Und in einem ungeheuren Regen, schön und schrecklich zugleich, fielen die glitzernden Splitter hinab auf die junge, noch formbare Welt, und in jedes Wesen und in jede Existenz fielen die Kristalle und wurden ewiglich eins mit der Materie. In allem waren nun Kristalle von Gut und von Böse, und darum trägt nun jeder Mensch Gut und Böse in sich, vielleicht von dem einen mehr und von dem anderen weniger.

Deswegen ist kein Mensch nur böse, und deswegen gibt es nicht „DEN guten Menschen". Jedoch der ewige Kampf zwischen Gut und Böse besteht weiterhin fort; nur wird er seitdem im Inneren der Menschen ausgetragen.

zweite Samhain-Erzählung: Nirkebes Kinder

zurück zur Literatur